„Wat die Männer können, können wir schon lange und vielleicht ’ne janze Ecke mehr“ sang Claire Waldoff bereits 1926, nur kurz nach der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahre 1918. Bereits damals war klar: Frauen sind im Aufbruch und verlangen ihr Stück vom Kuchen (Himmel). Und heute, im Jahr 2024 und mit den anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen, ist das Thema wieder brandaktuell.
Anhaltend sind FLINTA*- Personen in politischen Gremien unterrepräsentiert und werden strukturell daran gehindert ihre Teilhabe an Wahlämtern auszuüben. Die Gründe bleiben vielseitig: Rollenerwartungen, Mehrfachbelastung und patriarchal geprägte politische Kultur. Dabei ist die Perspektive von FLINTA*- Personen unabdinglich, um eine Region lebenswert für alle zu gestalten. Nur mit ihrer Perspektive und Expertise können Themen wie Bildung, Mobilität, Pflege, Digitalisierung und noch viele mehr tatsächlich nachhaltig entwickelt werden.
Darum setzt die Demokratie AG Ostsachsen sich dafür ein, die kandidierenden Frauen bei den anstehenden Wahlen im Landkreis Görlitz zu unterstützen, ruft dazu auf, diese aktiv zu wählen und für mehr Gleichberechtigung und gleiche Teilhabe in unser Region einzustehen.
Machen Frauen bessere Politik?
Doch warum sollten FLINTA*-Personen auch vermehrt in der Politik vertreten sein? FLINTA*-Personen sind Besitzer*innen komplexen Sozialwissens in der Lausitz und überall auf der Welt. Bedingt durch eine weiterhin vorherrschende traditionelle Rollenaufteilung und der Übernahme des Hauptteils der Care- und Sorgearbeiten innerhalb unserer Gesellschaft, besitzen FLINTA*- Personen qua Sozialisation und Rolle ein geschlechtsspezifisches Wissen. Sie benutzen vermehrt öffentliche Verkehrsmittel, kümmern sich um schulische und außerschulische Bildung der Kinder, vereinbaren Arzttermine für die ganze Familie. Sie budgetieren, wenn die Haushaltskasse eng wird, engagieren sich in losen Engagementzusammenhängen, nutzen vermehrt kulturelle Angebote und stricken nachhaltige Netzwerke über Generationen hinweg.
Dieses Wissen und diese Perspektive in einem kommunalpolitischen Sinne ungenutzt zu lassen, wäre nicht nur töricht, sondern möglicherweise langfristig fatal für diese Region. Im Sozialen wie auch im wirtschaftlichen Sinne schaffen FLINTA*- Personen in ihren traditionell zugeschriebenen Rollen einen Wert für die Region, welcher schlussendlich für deren Erhalt unabdingbar ist. Diese Perspektive muss somit auch ein den kommunalen Gremien eine mindestens gleichwertige Gewichtung bekommen.
Einerseits, da eine gesamte Bevölkerungsgruppe kaum repräsentiert wird, Vorbilder fehlen und spezifische Perspektiven nicht mit einfließen. Dies hat andererseits zur Auswirkung, dass der Bereich, welcher traditionell FLINTA*- Personen zugeschrieben wird, nämlich die soziale Daseinsvorsorge, katastrophal unterfinanziert und vernachlässigt bleibt. Allein schon deshalb bedarf es einer erhöhten Partizipation von FLINTA*-Personen in kommunalen Ämtern, um den Landkreis Görlitz langfristig für alle lebenswert zu gestalten.
Um die (kommunal)politischen Strukturen langfristig freundlicher für FLINTA*- Personen zu gestalten, bedarf es nicht nur individueller Entwicklung jeder einzelnen Kandidierenden, sondern breiter struktureller Veränderungen.
Diese beginnen grundlegend mit paritätischen Wahllisten und geschlechtersensiblen Parteikulturen. Innerhalb (kommunal-)politischer Sitzungen ist Handlungsbedarf im Sinne eines Code of Conduct geboten. Ein sogenannter Verhaltenskodex erscheint allgemein sinnvoll, nur so können alle Menschen von einem wertschätzenden Umgang profitieren. Neben sachlicher, höflicher und konstruktiver Sprache geht es dabei um geschlechtersensible Sprache und um das Weglassen von Sexismen, Rassismen und jeglichen anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Es geht auch um die gewünschte pronominale Anrede der jeweiligen Personen. Denn genau da fängt Gleichberechtigung an.
Ebenso ist ein ausgeglichener Redeanteil aller Anwesenden, bspw. durch eine Redeliste, zu beachten, um zu gewährleisten, dass Sitzungslängen eingehalten und gleichzeitig alle gehört werden.
Der Zugang zu Sitzungen und Gremienarbeit muss niedrigeschwellig und für alle Beteiligten zugänglich gemacht werden. Online-Teilnahme sowie ein Online-Stimmrecht oder die einmalige Übertragung der Stimme per Vollmacht gehören zu den Mindestanforderungen einer digitalisierten Gesellschaft. Ebenso müssen die Zeiten der Sitzungslänge für Mitglieder mit Care-, Pflege- und/oder Erziehungsarbeit angepasst und bestenfalls abgestimmt werden. Wenn dieser Forderung nicht nachgegangen werden kann, braucht es einen angemessenen Ausgleich für die Kinderbetreuung sowie zur Nutzung bereitgestellte Familienzimmer nahe der Sitzungsräume.
Zudem erfährt die meist ehrenamtliche Tätigkeit in der (Kommunal-)Politik wenig Wertschätzung sowie keine Anerkennung der erworbenen Kompetenzen für den weiteren Lohnarbeitsweg. Eine Zertifizierung zur Anerkennung der Leistung, inklusive der Teilnahme an notwendigen Fortbildungen im Rahmen des kommunalen Mandats, sollten gewährleistet sein.
Eine*r mehr von uns! – Ich mach‘s vor – macht ihr‘s nach?
Politik ist immer eine Frage der Machtorganisation und in einer Demokratie liegt die Macht bei den Menschen, die diese gestalten. Wandlungsprozesse werden immer wieder aktiv von Menschen angestoßen und Strukturen von innen heraus bewegt. Wenn eine*r den Anfang macht, können Themen und Perspektiven schnell das Leben aller nachhaltig verändern. Daher müssen FLINTA*- Personen jetzt in die vorherrschenden Systeme rein, um sie langfristig zu funktionalen und gewinnbringenden Strukturen für ALLE umzuwandeln. Vorhandene Strukturen müssen verändert und durchbrochen werden, damit marginalisierte Personen sich untereinander besser unterstützen können. Ressourcen und Kompetenzen müssen geteilt und bereitgestellt werden und marginalisierte Gruppen dürfen nicht allein gelassen werden.
Mit jeder Person, welche für die Perspektiven von marginalisierten Gruppen innerhalb der Politik eintritt, wird die gemeinsame Stimme lauter. Nur so können Perspektiven in Zukunft endlich gehört werden. Diese Personen können zudem Vorbilder sein für andere, die nach ihnen kommen und sich verbünden, sodass sichtbar wird: Nur mit Perspektiven aller, kann eine Politik für alle die Zukunft sein!
Also los jetzt FLINTA*s: Stellt euch auf und lasst euch wählen!
- Landesfrauenrat Sachsen e.V.
https://landesfrauenrat-sachsen.de/ - EAF (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft)
https://www.eaf-berlin.de/ - Aktionsprogramm Kommune | Frauen in die Politik
https://www.frauen-in-die-politik.com/ - Frauen.Wahl.LOKAL
https://frauenzentrum-bautzen.de/fzbtz/frauen-wahl-lokal-oberlausitz/ - Frauen aufs Podium
https://frauenaufspodium.org/ - Join Politics
https://www.joinpolitics.org/ - Herbert-Wehner-Bildungswerk
https://wehnerwerk.de/ - Brand New Bundestag
https://brandnewbundestag.de/
Lukoschat, Helga, Köcher, Renate; Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen; Eine empirische Untersuchung mit Handlungsempfehlungen an die Parteien; EAF Diversity in Leadership; Berlin; 2021.
Lukoschat, Helga, Hempe, Lisa; Frauen macht Berlin! Politische Teilhabe von Frauen in Berlin; Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Berlin; 2022.
Weidhofer, Cécile, Walchshäusl, Dorothea, Friedrich, Sarah; Mit Kind in die Politik; Gute Praktiken für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalpolitischem Ehrenamt, EAF Diversitry in Leadership, Berlin, 2023.
Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Maßnahmenkatalog der Fachkommission zur gleichberechtigen Teilhabe von Frauen in Wahlämtern, Dresden, 2022.
Haag, Hanna; Kollmorgen, Raj; Demokratie braucht Demokratinnen. Barrieren der politischen Kultur für Frauenkarrieren in Politik und Gewerkschaften – und Ansätze für ihre Veränderung, Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Berlin, 2020.