Demokratie. Toleranz. Menschenrechte.

Die Demokratie AG Ostsachsen ist ein Netzwerk freier Träger, 
die durch präventive Arbeitsweise 
Demokratiebildung, Beteiligung und Engagement in Ostsachsen fördern.

23. Juni 2024

Statement zum Umgang mit Sommersonnenwendfeiern im Landkreis Görlitz

Mit großer Sorge stellen wir fest, dass unter den in diesem Jahr im Landkreis Görlitz veranstalteten Sommersonnenwendfeiern erneut einzelne den offenen Anschluss an völkische und nationalsozialistische Brauchtumspflege zelebriert haben. Besonders heraus gestochen ist in diesem Jahr eine Veranstaltung in Herrnhut im Ortsteil Strahwalde. Am Nachmittag und Abend des 22. Juni 2024 vollzog sich hier ein Ritual, bei dem der Stil, die Auswahl der Lieder und die Inhalte der sogenannten Feuersprüche einen eindeutigen Bezug zur Hitlerjugend aufwiesen. Unter Begleitung von typischen Trommelschlägen zogen die auffallend zahlreich in weißen Hemden gekleideten jungen Männer  neben anderen Männern und Frauen in Trachten zum Holzstapel. Mit Fackeln vollzogen sie eine Zeremonie, in deren Ergebnis sie den Stapel entzündeten. Nachdem dies erfolgt war, stimmten sie unter anderem das Lied Nur der Freiheit gehört unser Leben an, das Hans Baumann 1935 eigens für die Hitlerjugend gedichtet hat. Anschließend sagten einzelne Teilnehmer*innen Feuersprüche auf, die die Anwesenden mit einem lautstarken „Heil Sonnenwende“ bejahten. Darunter Sprüche auf „die deutsche Jugend“. Einer rief, sie würden ihre „Leben der Ehre Deutschlands“ widmen und sie schworen „auf das Deutsche Volk und auf Deutschland“.

In einem der letzten Feuersprüche wurde dem „Löbauer SS-Standartenführer Max Wünsche“ gehuldigt. Wünsche war Nationalsozialist der ersten Stunde, Mitglied der HJ seit 1932, diente Adolf Hitler persönlich als Ordonanzoffizier und war im Zweiten Weltkrieg zuletzt verantwortlich für den Aufbau der 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“, in der massenhaft Hitlerjungen rekrutiert und unter seiner Kommandantur in den Krieg geschickt wurden. Im selben Atemzug ehrten die Teilnehmenden zugleich sämtliche Ritterkreuzträger, also Soldaten, die im Rahmen der nationalsozialistischen Kriegsführung für ihre Leistungen ausgezeichnet wurden. Unter den Anwesenden war auch der Militär-Historiker Peter Hild, der seit ein paar Jahren in Mittelherwigsdorf lebt und sich bestens mit den Ritterkreuzträgern auskennen dürfte. Seit den 1990er Jahren nahm er wiederholt an Treffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger e.V.“ teil. Auf seinem Facebookprofil ehrt er einzelne von ihnen zu gegebenen Anlässen. Dank des erfolgreichen Abschneidens seines Parteifreundes Harry Fröhlich erhielt auch Hild bei der Wahl zum Gemeinderat am 9. Juni 2024 auf der Liste der sogenannten Alternative für Deutschland einen Sitz im Gemeinderat vom Mittelherwigsdorf.

Nach dem Ritual singen die Teilnehmenden Lieder und hin und wieder ruft einer "Heil Sonnenwende", was die anderen ebenso im Chor beantworten. (C) Nils Lenthe

Die ganze Veranstaltung fand auf einem Grundstück statt, das aktuell von der Familie Dienel aus Herrnhut gepachtet wird und nach Aussagen eines Teilnehmers der Veranstaltung durch diese eigens dafür zur Verfügung gestellt wurde. Derselbe Zeuge behauptete zudem, dass die Familie selbst zu den Teilnehmenden gehört habe. Kristina Dienel wurde bei den jüngsten Kommunalwahlen für die Freien Sachsen in den Herrnhuter Stadtrat und den Kreistag des Landkreises Görlitz gewählt. Auf Facebook verteidigte die angehende Stadträtin die völkische Veranstaltung als harmlose Traditionspflege. Maßgeblicher Organisator scheint aber Stephan Jurisch (geb. Roth) aus Oybin gewesen zu sein – ein Informationsflyer, der an Anwohner*innen verteilt wurde, war von ihm unterschrieben. Jurisch war u.a. in der inzwischen verbotenen neo-nationalsozialistischen Heimattreuen Deutschen Jugend aktiv.

Am selben Abend fand wenige Kilometer entfernt auch in Niederorderwitz eine Sonnenwendfeier statt. Dort ist die Veranstaltung schon seit vielen Jahren etabliert. Das Verhältnis zur nationalsozialistischen Tradition ist hier eher durch unterlassene Distanzierung und Interpretationsspielräume bestimmt. Der Charakter der Feier ist vorgeblich stärker an heidnische Bräuche angelehnt. Dass aber zum Beispiel auch in diesem Jahr am Holzstapel eine Tiwaz-Rune prangte, die auch das Erkennungszeichen der Hitlerjugend, einer SS-Freiwilligendivision und als Abzeichen der SA-Reichsführerschulen verwendet wurde, ist zumindest erneut Anlass genauer hinzusehen. Nachdem es im vergangenen Jahr zum wiederholten Male eine öffentliche Auseinandersetzung über das Event in Niederoderwitz gab, wäre eine entsprechende Klarstellung und deutliche Distanzierung seitens des Veranstalters oder wenigstens mehr Aufmerksamkeit der Behörden zu erwarten gewesen – nichts dergleichen scheint der Fall zu sein.

Bei der im Ortsteil Niederoderwitz durchgeführten Sonnenwendfeier handelt es sich unserer Einschätzung nach um eine Brauchtumsfeier, die in ihren Elementen mindestens an völkisch-heidnische Rituale angelehnt ist. In der Gestaltung ähnelt sie wie auch jene in Herrnhut auffallend den Sonnenwendfeiern der 2023 verbotenen Artgemeinschaft, Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.. Neben dem üblichen Balkenfeuer, dessen „gemeinschaftlicher Aufbau“ am ersten Tag stattfand und das in einem „heidnischen Ritual“ entzündet wurde, gehörte laut Veranstaltungsflyer auch die Errichtung eines Questenbaumes zum Programm. Entgegen der Behauptung eines Mitorganisators bei der Gemeinderatssitzung 2023, dass es sich hierbei um eine Privatveranstaltung im Kreis von Nachbar*innen und Freund*innen handele bzw. es eine Veranstaltung für Oderwitzer*innen sei, wurden wohl gezielt gewisse Kreise angesprochen und ist die Feier in Oderwitz eher unbekannt. Die Einladungsflyer wurden nicht öffentlich ausgelegt, sondern gezielt verteilt und die Teilnehmenden gebeten sich im Vorfeld anzumelden. Laut Aussagen von Besucher*innen, kommen die Teilnehmenden u.a. auch aus der Schweiz, Ungarn und Österreich. Zudem wurde mit einem „Unkostenbeitrag“ eine Alternative zu Eintritt genommen.

Seit 2018 habe das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz die Veranstaltung im Blick. 2022 erregte die Feier durch Veröffentlichung eines Rechercheartikels das Aufsehen der Öffentlichkeit und führte zu Diskussionen über ihre Bewertung. Mitorganisator Raik Molitor habe laut Berichten der Sächsischen Zeitung ausgesagt, die Veranstalter*innen hätten sich „von einer politischen Bühne abgekapselt“. Genau für diese mutmaßliche Schutzbehauptung fehlt jedoch der Beweis. Stattdessen werden nun bereits seit vielen Jahren an besagtem Ort Sonnenwendfeiern unter Abkapselung von der Öffentlichkeit veranstaltet, die für neonazistische Politik Anschluss bieten. Symbole wie das nationalsozialistische Gegenstück zum Christenkreuz (Irminsul), das Symbol der verbotenen „Wiking Jugend“ (Odalrune) oder der Hitler-Jugend (Tiwarz- oder Tirrune) wurden über mehrere Jahre gesichtet und dokumentiert. Auch personell konnten in der Vergangenheit die Teilnahme von rechten bis neonazistischen Akteur*innen sowie die Mitwirkung einer Band wie „Waldtraene“, die mit dem Label „Asatru Klangwerke“ zusammenarbeitet, festgestellt werden.

Der verdichtete Eindruck einer unterlassenen Distanzierung von oder gar der offene Bezug zu völkischem Gedankengut und dessen Vertreter*innen veranlasste die Demokratie AG Ostsachsen, im vergangenen Jahr mit einem Aufklärungsflyer auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen.  Dieser wurde in Oderwitz an sämtliche Haushalte verteilt. Antrieb war nicht zuletzt die Sorge, dass völkische Strukturen und Netzwerke in Ostsachsen unbehelligt ihre Aktivitäten und ihre Mitgliederzahlen ausbauen können. Ziel war es, die Bevölkerung von Oderwitz für eine Veranstaltung zu sensibilisieren, die sich entsprechend neurechter Strategien als Beitrag zum lokalen und regionalen Gemeinwesen inszeniert, deren Veranstalter*innen sich damit in der Gesellschaft etablieren wollen, um schließlich ihre politischen Anschauungen auf dem Pfad persönlicher Verbundenheit zu verbreiten. Der Flyer der Demokratie AG Ostsachsen war außerdem als Unterstützung kommunaler Politik gedacht, die sich in der Verantwortung sieht, mit einem Problem umzugehen, für das in der Bevölkerung nur wenig Bewusstsein besteht. In der lokalen Presse wurde der Flyer in einer Weise aufgegriffen, die die darin angemeldeten Bedenken als überzogen oder gar unberechtigt erscheinen lässt. 

Dem Redakteur gab scheinbar weniger die Veranstaltung selbst, sondern vielmehr ein Zwischenfall mit Pressvertreter*innen Anlass einen Artikel zu verfassen. Auswärtigen Journalisten war durch Teilnehmer der Sonnenwendfeier Recherche für einen Bericht über die Veranstaltung untersagt worden. In dem Artikel, der am 25. Juni 2023 auf der Website der Sächsischen Zeitung publiziert wurde, wird die Darstellung der am Abend zur Konfrontation zwischen Veranstaltungsteilnehmern und Presse hinzugezogenen Polizei wiedergegeben. Dabei machte sich der Redakteur die Einschätzung zu eigen, dass die Überprüfung der Veranstaltung den „Verdacht auf Rechtsextremismus oder verbotene Symbolik“ nicht habe erhärten können und es sich stattdessen um eine „ganz normale Feier mit Wikinger- und Mittelalter-Touch“ gehandelt habe. 

So lautete auch die historisch eher zweifelhafte Erläuterung zum Charakter der Veranstaltung, die die Teilnehmer der abgewiesenen Presse auftischten. Das mythische Fundament rechter Ideologie wird damit als unpolitischer Freizeitspaß verharmlost. Die von rechten Strukturen und Akteuren kultivierte Verengung deutscher Traditionsbestände auf eine vom Christentum bereits im Frühmittelalter überlagerte, erst im Zusammenhang mit der nationalen Romantik des 19. Jahrhunderts wieder ausgegrabene und vergleichsweise unbedeutende germanische Wurzel, wird hier politisch instrumentalisiert und wäre insofern zu dekonstruieren. Es liegt der Verdacht nahe, dass sich die historisch und politisch unkundige Polizei diesen Germanen im Wikingerpelz hat aufbinden lassen. 

Unglücklicher Weise hat die Sächsische Zeitung es dann nur noch abgeschrieben. Zwar wird im Artikel die Diskussion über die Veranstaltung im Vorjahr erwähnt, jedoch inhaltlich nicht weiter gewürdigt. Angesichts der wesentlich differenzierteren Berichterstattung der Sächsischen Zeitung über die Veranstaltung im Jahr 2022 wäre hier eine ausreichende Grundlage für die adäquate Einordnung vorhanden gewesen. Es entsteht der Eindruck, als sei all dies in diesem Jahr nicht mehr von Relevanz.  Wir bemängeln diese offenkundig ungenügende Recherche, bzw. undifferenzierte Darstellung. Umgang der Polizei und des Redakteurs mit der Sonnenwendfeier werfen dabei vor allem die Frage auf, wie es um das Bewusstsein für Aktivitäten antidemokratischer Akteur*innen und Strukturen in der Region bestellt ist.

Die wahrnehmbare Verharmlosung neu-rechter Strategien und Akteur*innen bereitet uns umso größere Sorge. Das eben dieser Umgang dazu führt, dass solche Feiern sich immer weiter ausbreiten und etablieren, zeigt die Zunahme der Sonnenwendfeiern im Landkreis. Das vor allem in Strahwalde kein abgelegener, unbeobachteter Ort gesucht wurde und die Feier direkt im Ort und nur wenige Meter von den Wohnhäusern entfernt stattfand, zeigt deutlich, dass die Veranstalter*innen sich durch ausbleibende Konsequenzen und fehlgeleitete Toleranz legitimiert sehen. 

Das im Beisein der Polizei oben beschriebene Handlungen begangen und entsprechende Bilder erzeugt werden konnten, war auch durch das fehlende Hintergrundwissen seitens der Beamt*innen zu völkisch-nationalistischer Vereinnahmung solcher Rituale möglich.  Wir erwarten von der Polizei, dass sie sich mit den ideologischen Hintergründen solcher Veranstaltungen und den Gefahren, die von ihnen ausgehen, auseinandersetzt und zu einer eigenen Einschätzung der Sachlage kommt, anstatt sich die Beschwichtigungsversuche der Veranstalter*innen anzueignen und das Problem herunterzuspielen.

Die Verfassungsschutzbehörde sollte überdies nicht nur Informationen sammeln, sondern ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit oder mindestens den politisch Verantwortlichen kommunizieren, damit ein entsprechender Umgang mit solchen Strukturen und Veranstaltungen gefunden werden kann.

Wir erwarten von den Veranstalter*innen, dass sie ihre Behauptung über den unproblematischen Charakter untermauern und den Verdacht ausräumen, dass die Oderwitzer Sonnenwendfeier rechten Netzwerken Anlass und Raum ist, ihre völkische Gesinnung auszuleben und zu verbreiten.

Pressevertreter*innen bitten wir um eine kontinuierliche verantwortungsbewusste Recherche und entsprechend ausgewogene Berichterstattung, die nicht durch Fahrlässigkeit die Dimension des Problems herunterspielt. 

Die Demokratie AG ist ein Netzwerk aus 14 zivilgesellschaftlichen Trägern, die sich gemeinsam schwerpunktmäßig mit bestehenden rechten Strukturen auseinandersetzen, menschenverachtenden Meinungsbildern widersprechen und der Missachtung der Menschenrechte in der Region Ostsachsen entgegentreten. Durch uns werden Bürgerschaft, Zivilgesellschaft, Vertreter*innen der kommunalen Politik über aktuelle Entwicklungen (weiter) aufgeklärt. Wir sind für alle demokratischen Kräfte ansprechbar und wollen diese befähigen, sich aktiv und kritisch mit den genannten Themen zu beschäftigen. Dies gilt auch für Journalist*innen, die über diese Themen in der Region berichten und dabei offene Fragen haben.

Presseberichte (Stand 22. Juli 2024)

Sonnenwendfeier in Strahwalde mit Nazi-Liedern und SS-Huldigung?, in: Sächsische Zeitung, vom 10. Juli 2024, Titelseite und 13. (online, hinter PayWall).

Wo AfD-Politiker einen SS-Mann ehren, in: taz, vom 12. Juli 2024, (online am 10. Juli 2024).

22. Mai 2024

Statement des feministischen*forums Görlitz und des Frauen.Wahl.LOKALs Oberlausitz

Mehr FLINTA*s in die (Kommunal)Politik!

„Wat die Männer können, können wir schon lange und vielleicht ’ne janze Ecke mehr“ sang Claire Waldoff bereits 1926, nur kurz nach der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahre 1918. Bereits damals war klar: Frauen sind im Aufbruch und verlangen ihr Stück vom Kuchen (Himmel). Und heute, im Jahr 2024 und mit den anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen, ist das Thema wieder brandaktuell.
Anhaltend sind FLINTA*- Personen in politischen Gremien unterrepräsentiert und werden strukturell daran gehindert ihre Teilhabe an Wahlämtern auszuüben. Die Gründe bleiben vielseitig: Rollenerwartungen, Mehrfachbelastung und patriarchal geprägte politische Kultur. Dabei ist die Perspektive von FLINTA*- Personen unabdinglich, um eine Region lebenswert für alle zu gestalten. Nur mit ihrer Perspektive und Expertise können Themen wie Bildung, Mobilität, Pflege, Digitalisierung und noch viele mehr tatsächlich nachhaltig entwickelt werden.
Darum setzt die Demokratie AG Ostsachsen sich dafür ein, die kandidierenden Frauen bei den anstehenden Wahlen im Landkreis Görlitz zu unterstützen, ruft dazu auf, diese aktiv zu wählen und für mehr Gleichberechtigung und gleiche Teilhabe in unser Region einzustehen.

KEINE 100 Jahre mehr!

Als 1918 das aktive und passive Wahlrecht für Frauen erfolgreich erkämpft wurde, hätte keine der Frauen gedacht, dass ein Jahrhundert später die Geschlechterdiversität in Wahlämtern weiterhin nur geringfügig umgesetzt wurde. Mit der Anerkennung des „diversen“ Geschlechtseintrags wurde es nicht-binären Menschen sogar erst Jahre später, im Jahr 2018 möglich, offiziell von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Im Bundestag lag der Anteil von FLINTA (Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre, Trans, A-gender)*- Personen historisch maximal bei 36,5 % (2013-2017), aktuell bei 34,8 %, scheint die Grenze von einem Drittel jedoch nicht dauerhaft zu übersteigen. In Sachsen und genauer im Landkreis Görlitz sieht es dabei nicht anders aus – mit einem prozentualen Frauenanteil von 16,3 % im Kreistag liegt der Anteil sogar weit unterhalb des Bundesdurchschnitts. Zudem gibt es weiterhin Gemeinde- und Stadträte im Landkreis, in welchen nicht eine FLINTA*- Person vertreten ist. Um eine tatsächlich freundlichere Politik in Stil, Themen und Ergebnis für Frauen und nicht-binäre Personen zu ermöglichen, sollte eine kritische Masse von mindestens 30 % erreicht werden.

Machen Frauen bessere Politik?
Doch warum sollten FLINTA*-Personen auch vermehrt in der Politik vertreten sein? FLINTA*-Personen sind Besitzer*innen komplexen Sozialwissens in der Lausitz und überall auf der Welt. Bedingt durch eine weiterhin vorherrschende traditionelle Rollenaufteilung und der Übernahme des Hauptteils der Care- und Sorgearbeiten innerhalb unserer Gesellschaft, besitzen FLINTA*- Personen qua Sozialisation und Rolle ein geschlechtsspezifisches Wissen. Sie benutzen vermehrt öffentliche Verkehrsmittel, kümmern sich um schulische und außerschulische Bildung der Kinder, vereinbaren Arzttermine für die ganze Familie. Sie budgetieren, wenn die Haushaltskasse eng wird, engagieren sich in losen Engagementzusammenhängen, nutzen vermehrt kulturelle Angebote und stricken nachhaltige Netzwerke über Generationen hinweg.
Dieses Wissen und diese Perspektive in einem kommunalpolitischen Sinne ungenutzt zu lassen, wäre nicht nur töricht, sondern möglicherweise langfristig fatal für diese Region. Im Sozialen wie auch im wirtschaftlichen Sinne schaffen FLINTA*- Personen in ihren traditionell zugeschriebenen Rollen einen Wert für die Region, welcher schlussendlich für deren Erhalt unabdingbar ist. Diese Perspektive muss somit auch ein den kommunalen Gremien eine mindestens gleichwertige Gewichtung bekommen.
Einerseits, da eine gesamte Bevölkerungsgruppe kaum repräsentiert wird, Vorbilder fehlen und spezifische Perspektiven nicht mit einfließen. Dies hat andererseits zur Auswirkung, dass der Bereich, welcher traditionell FLINTA*- Personen zugeschrieben wird, nämlich die soziale Daseinsvorsorge, katastrophal unterfinanziert und vernachlässigt bleibt. Allein schon deshalb bedarf es einer erhöhten Partizipation von FLINTA*-Personen in kommunalen Ämtern, um den Landkreis Görlitz langfristig für alle lebenswert zu gestalten.

Wir haben strukturelle Probleme!

Es gibt vielerlei Gründe, warum FLINTA*- Personen auf kommunalpolitischer Ebene, wie in allen anderen politischen und gesellschaftlich relevanten Kontexten auf nationaler und globaler Ebene, weniger vertreten sind. Denn die politische Kultur ist anhaltend durch ein patriarchales Dominanzverhalten geprägt, welches eine vermeintlich männliche Rationalität als Maßstab ansetzt. Dort finden andere Perspektiven und Ansätze weiterhin nur wenig Gehör. FLINTA*- Personen sind einer Mehrfachbelastung ausgesetzt und widmen sich neben Lohnarbeit auch dem Großteil der Care- und Pflegearbeit in unserer Gesellschaft. Zudem werden sie von Seiten der Gesellschaft mit einer geschlechtsspezifischen Rollenerwartung konfrontiert. All diese Gründe haben eine Eigenschaft gemein: Sie sind strukturell bedingt.
Personen, die von Geburt an als „weiblich“ gelesen werden und somit mit gesellschaftlichen „Weiblichkeitsanforderungen“ konfrontiert sind, haben es schwerer, in der Politik Fuß zu fassen. Ihnen wird auf Grund des Geschlechts Kompetenz abgesprochen oder durch ihre Sozialisation erst gar nicht nahegelegt, politische Ämter zu erfüllen. Dies ist nur ein Umstand, welcher dazu führt, dass FLINTA*- Personen, im Gegensatz zu „männlich“ sozialisierten Personen, weniger Selbstvertrauen entwickeln und sich somit politische Ämter weniger zutrauen.
Es ist somit nicht verwunderlich, dass wenige Frauen ein politisches Amt anstreben. Genauso wenig verwundert es, dass andere (mehrfach) marginalisierte Personengruppen, wie trans*, inter* oder sich keinem Geschlecht zugehörig fühlende Menschen (TINA*- Personen) oder auch Menschen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung, noch weniger in der Politik vertreten sind.

Struktur-Änder-Dich: Unsere Forderungen

Um die (kommunal)politischen Strukturen langfristig freundlicher für FLINTA*- Personen zu gestalten, bedarf es nicht nur individueller Entwicklung jeder einzelnen Kandidierenden, sondern breiter struktureller Veränderungen.
Diese beginnen grundlegend mit paritätischen Wahllisten und geschlechtersensiblen Parteikulturen. Innerhalb (kommunal-)politischer Sitzungen ist Handlungsbedarf im Sinne eines Code of Conduct geboten. Ein sogenannter Verhaltenskodex erscheint allgemein sinnvoll, nur so können alle Menschen von einem wertschätzenden Umgang profitieren. Neben sachlicher, höflicher und konstruktiver Sprache geht es dabei um geschlechtersensible Sprache und um das Weglassen von Sexismen, Rassismen und jeglichen anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Es geht auch um die gewünschte pronominale Anrede der jeweiligen Personen. Denn genau da fängt Gleichberechtigung an.
Ebenso ist ein ausgeglichener Redeanteil aller Anwesenden, bspw. durch eine Redeliste, zu beachten, um zu gewährleisten, dass Sitzungslängen eingehalten und gleichzeitig alle gehört werden.
Der Zugang zu Sitzungen und Gremienarbeit muss niedrigeschwellig und für alle Beteiligten zugänglich gemacht werden. Online-Teilnahme sowie ein Online-Stimmrecht oder die einmalige Übertragung der Stimme per Vollmacht gehören zu den Mindestanforderungen einer digitalisierten Gesellschaft. Ebenso müssen die Zeiten der Sitzungslänge für Mitglieder mit Care-, Pflege- und/oder Erziehungsarbeit angepasst und bestenfalls abgestimmt werden. Wenn dieser Forderung nicht nachgegangen werden kann, braucht es einen angemessenen Ausgleich für die Kinderbetreuung sowie zur Nutzung bereitgestellte Familienzimmer nahe der Sitzungsräume.
Zudem erfährt die meist ehrenamtliche Tätigkeit in der (Kommunal-)Politik wenig Wertschätzung sowie keine Anerkennung der erworbenen Kompetenzen für den weiteren Lohnarbeitsweg. Eine Zertifizierung zur Anerkennung der Leistung, inklusive der Teilnahme an notwendigen Fortbildungen im Rahmen des kommunalen Mandats, sollten gewährleistet sein.

Eine*r mehr von uns! – Ich mach‘s vor – macht ihr‘s nach?

Politik ist immer eine Frage der Machtorganisation und in einer Demokratie liegt die Macht bei den Menschen, die diese gestalten. Wandlungsprozesse werden immer wieder aktiv von Menschen angestoßen und Strukturen von innen heraus bewegt. Wenn eine*r den Anfang macht, können Themen und Perspektiven schnell das Leben aller nachhaltig verändern. Daher müssen FLINTA*- Personen jetzt in die vorherrschenden Systeme rein, um sie langfristig zu funktionalen und gewinnbringenden Strukturen für ALLE umzuwandeln. Vorhandene Strukturen müssen verändert und durchbrochen werden, damit marginalisierte Personen sich untereinander besser unterstützen können. Ressourcen und Kompetenzen müssen geteilt und bereitgestellt werden und marginalisierte Gruppen dürfen nicht allein gelassen werden.

Mit jeder Person, welche für die Perspektiven von marginalisierten Gruppen innerhalb der Politik eintritt, wird die gemeinsame Stimme lauter. Nur so können Perspektiven in Zukunft endlich gehört werden. Diese Personen können zudem Vorbilder sein für andere, die nach ihnen kommen und sich verbünden, sodass sichtbar wird: Nur mit Perspektiven aller, kann eine Politik für alle die Zukunft sein!
Also los jetzt FLINTA*s: Stellt euch auf und lasst euch wählen!

Netzwerke

Quellen

https://www.frauen-in-die-politik.com/news/respektvoller-umgang-in-der-kommunalpolitik-verhaltenskodexe-und-andere-instrumente

https://landesfrauenrat-sachsen.de/wp-content/uploads/2022/10/Massnahmenkatalog_der_Fachkommission_zur_gleichberechtigten_Teilhabe_von_Frauen_an_Wahlaemtern.pdf

Lukoschat, Helga, Köcher, Renate; Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen; Eine empirische Untersuchung mit Handlungsempfehlungen an die Parteien; EAF Diversity in Leadership; Berlin; 2021.

Lukoschat, Helga, Hempe, Lisa; Frauen macht Berlin! Politische Teilhabe von Frauen in Berlin; Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Berlin; 2022.

Weidhofer, Cécile, Walchshäusl, Dorothea, Friedrich, Sarah; Mit Kind in die Politik; Gute Praktiken für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalpolitischem Ehrenamt, EAF Diversitry in Leadership, Berlin, 2023.

Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Maßnahmenkatalog der Fachkommission zur gleichberechtigen Teilhabe von Frauen in Wahlämtern, Dresden, 2022.

Haag, Hanna; Kollmorgen, Raj; Demokratie braucht Demokratinnen. Barrieren der politischen Kultur für Frauenkarrieren in Politik und Gewerkschaften – und Ansätze für ihre Veränderung, Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Berlin, 2020.

11. Dezember 2023

Statement grenzwertig desintegrativ

Thema 1: Persönlichkeitsrechte
 
Die Nutzung lokaler Medien kann derzeit etwas verstören. Regelmäßig erfährt man da, dass sich Menschen unter lebensbedrohenden Bedingungen über die Grenzen aus Polen und Tschechien nach Deutschland begeben. Die Menschen, die dies tun, haben lange Wege hinter sich. Mitunter sind sie tagelang ohne Essen, zusammengepfercht in völlig überladenen Transportern unterwegs, bevor sie in unserer Region eintreffen und sich angekommen wähnen auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben mit einem gewissen Maß an Ordnung, Sicherheit und Freiheit. Die Schicksale dieser Menschen, die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen sie fliehen, die extremen Strapazen, die sie dafür auf sich nehmen, werden hier zu wenig thematisiert. Migration ist zu einem Kampfbegriff geworden, der Diskurs darüber ist stark polarisiert. Worüber jedoch Einigkeit bestehen sollte, sind Anstand und Humanität.
 
Doch gerade da kommt der Journalismus als prägender Diskursteilnehmer inzwischen immer mehr ins Straucheln. Welchen journalistischen Mehrwert bietet denn ein Bild aus dem Laderaum eines Transportfahrzeugs? Was illustriert ein Foto einer Personengruppe nach dem Aufgriff durch die Bundespolizei? Einige Bilder wurden nur oberflächlich oder teilweise auch gar nicht anonymisiert. Das wirft die Frage auf, wo die Persönlichkeitsrechte dieser Menschen bleiben? Und, warum finden solche Bilder überhaupt immer wieder ihren Weg in die Lokalpresse? Beispiele für diese Praxis finden sich in den letzten Monaten immer wieder (s. Belegliste unten).
 
Als Demokratie AG Ostsachsen kritisieren wir diese entwürdigende Praxis entschieden. Gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, dem die Presse zu entsprechen hat, überwiegen hier eindeutig die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Für die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung solcher Bilder unbekannten Personen, die aus Diktaturen, vor Krieg, Verfolgung und Gewalt fliehen, besteht unter Umständen Gefahr für Leib und Leben. Die Darstellung von geflüchteten Personen mit oder ohne direkten Themenbezug ist überdies nichts, was in irgendeiner Art und Weise zur Informationsweitergabe beiträgt. (Ohne direkten Themenbezug meint hier die bildliche Darstellung von geflüchteten Personen nach dem Aufgreifen der Bundespolizei in Artikeln, die sich beispielsweise mit Sozialleistungen für Geflüchtete beschäftigen (siehe Artikel 2), mit dem Aufgreifen an sich aber nichts zu tun haben).
 
Im Gegenteil werden die extremen Umstände der Flucht als Medienspektakel inszeniert. Im Tenor eines „schon wieder“ werden die Berichte vor allem auf die Zahl der Menschen und die Häufigkeit der Einschleusung zugespitzt. Dabei wird weniger das Elend der geflüchteten Personen zu Bewusstsein gebracht. Die Publikation von (kaum oder gar nicht anonymisierten) Fotos aus dem Moment, da Geflüchtete durch die Bundespolizei aufgegriffen werden, bewerten wir viel mehr als Beitrag zur Stimmungsmache gegen geflüchtete Menschen. 
Eine Darstellung des problematischen Aktes der Schleusung unter menschenunwürdigen Bedingungen darf nicht zu Lasten der Persönlichkeitsrechten von Betroffenen erfolgen. Als Grundpfeiler der Demokratie und unseres demokratischen Miteinanders sollten Medien sich nicht den gleichen emotionalisierenden Werkzeugen bedienen, wie antidemokratische populistische Strömungen. Durch eben jene Bebilderung von Artikeln werden  aber Überfremdungsängste geschürt werden und ankommende Menschen von vorn herein in einen Problemkontext gesetzt. Der Fokus bei der Informationsvermittlung sollte jedoch auf sachlicher Analyse und der Erläuterung von Fluchthintergründen liegen. 
 
Anhang Artikel zu Geflüchteten mit Bildern:
(bis Mitte September)
 

Statement zur Sondersitzung des Kreistags in Görlitz am 18.04.2023

Was ist der Mensch (noch) wert?

Wenn es nach vielen Meinungen der letzten Sondersitzung des Kreistages geht, fällt die Antwort erschreckenderweise wohl „sehr wenig“ aus.

Das wollen wir als Verteter*innen der Demokratie AG Ostsachsen so nicht hinnehmen.

Auch wenn Freie Sachsen, Anhänger*innen von AfD und Querdenker*innen sich lautstärkemäßig gefühlt in der Mehrheit befanden, möchten wir an ein demokratisches Miteinander appellieren und keine Grenzen zwischen Herkunft oder Hautfarbe ziehen.

Es darf auch nicht um ein Ausspielen oder gar Bevorzugen von Menschen aus der Ukraine gegenüber anderen Geflüchteten gehen.

Es ist die Aufgabe von politischen Vertreter*innen sowie der Zivilgesellschaft, dieses Bild gerade zu rücken und sich nicht selbst als betroffene Person zu deklarieren. Falschmeldungen wie letzte Woche, Populismus und ein Verdrehen der Zahlen darf nicht unkommentiert stehen bleiben.

Alle Menschen, egal ob Alleinreisende, Familien oder Kinder sollen gleichermaßen in Städten oder Landkreisen willkommen sein und sich sicherer als in ihrem Herkunftsland fühlen.

Natürlich kann man über den Standort streiten und diskutieren und die Frage stellen, ob dieser für die Geflüchteten geeignet ist. Dabei wünschen wir uns eine zivilisierte Streitkultur, in der belastbare Argumente ausgetauscht werden und miteinander tragbare Lösungen für alle Seiten gefunden werden.

Wir danken allen, die sich für einen offenes, buntes und tolerantes Sachsen aussprechen und aktiv Haltung bekennen!

Demokratie AG Ostsachsen

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